Das Idyll, der Hass, der politische Mord
„Man muss für Werte eintreten“ beeindruckt sein Publikum in Sachsenhausen nachhaltig


Das Ensemble erhielt tosenden Beifall: (von links) Neven Noethig (Walter Lübcke), Alexander Ritter (Markus Hartmann), Ulrike Volkers (Irmgard Braun-Lübcke) und Helge Salnikau (Stefan Ernst). © Fotos: Ursula Neubauer
Sachsenhausen – Entsetzen und Bestürzung spiegelten sich auf den meisten Gesichtern der etwa 450 Besucher in der Stadthalle wider, als das Theaterstück „Man muss für Werte eintreten!“ zu Ende war. Dann brauste tosender Beifall für die starke schauspielerische Leistung des Quartetts auf der Bühne auf und für den Mut des Ensembles, das Thema in dieser Weise dem Publikum nahezubringen. In dem Vier-Personen-Stück zeigt das Westfälische Landestheater anhand des politischen Mordes an Dr. Walter Lübcke von 2019 die Entwicklung der rechtsradikalen Strömungen in Deutschland auf.
„Demokratie geht uns alle an und lebt von den Menschen“, sagte Bürgermeister Nicolaus Havel, der die Gäste gemeinsam mit der WaJuKu-Vorsitzenden Ute Wiesenberg begrüßte. Er beschrieb Walter Lübcke als einen Mann, der für Haltung, Mut und Demokratie stand. Sehr still wurde es im Saal, als Christoph Lübcke, der Sohn des ermordeten Regierungspräsidenten, mit brüchiger Stimme die schrecklichen Ereignisse am Abend der Tat aus Sicht seiner Familie wiedergab. Es geht eben in dem Theaterstück nicht um eine fiktive Erzählung, sondern um erschreckende, grausame Wirklichkeit.
Das Stück beginnt mit einem Blick auf die Familienidyll des Ehepaars Lübcke auf seiner eigenen Terrasse. „Was unternehmen wir morgen?“, fragt Irmgard Lübcke ihren Mann, nachdem sie den Enkel ins Bett gebracht hat. Doch es wird kein morgen für ihren Mann geben. Noch in derselben Nacht wird er von einem rechtsradikalen Attentäter erschossen.
Das Stück lebt von der Darstellung starker Kontraste. Auf der einen Seite das Ehepaar Lübcke, gespielt von Ulrike Volkers und Neven Noethig, das gebildet und politisch aktiv ist. Der wahre Walter Lübcke setzte sich als Regierungspräsident für eine Erstaufnahmeunterkunft für Flüchtlinge in Lohfelden/Kassel ein. In einer Rede sage er: „Man muss für Werte eintreten. Wer diese Werte nicht vertritt, der kann dieses Land verlassen“. Diese Aussage wird von Rechtsradikalen als Landesverrat und Lübcke als Volksverräter angesehen.
Auf der anderen Seite zeigen Helge Salnikau als Attentäter Stefan Ernst und Alexander Ritter als Markus Hartmann in dem Stück die erschreckende Deutlichkeit der Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten. Sie hegen einen großen Hass auf „die da oben“ und alle Fremden im Land. Die vielen islamistischen Attentate oder Übergriffe in Europa, die während der Vorstellung über Lautsprecher verkündet werden, bestärken sie in ihrem Fremdenhass. Es ist starker Tobak für die Zuschauer, wenn sich Stefan Ernst regelrecht in einen Blutrausch versetzt. „Wir werden sie jagen! Wir werden sie töten“, schreit er voller Wut und Hass. Und dann ist die Pistole, die er von Markus bekommt, nur ein weiterer Schritt zum Mord. Alexander Ritter spielt Markus als Rechtsradikalen, der sich selbst nicht die Finger schmutzig macht, aber andere mit perfiden Mitteln aufhetzt. Die Verbindung zur AfD ist gewollt.
Beide Paare sind fast ständig zusammen auf der Bühne, doch es trennen sie Welten. Jeder lebt in seinem kleinen Kosmos. Während Lübcke überzeugt ist, dass er unbedeutend für die Rechtsradikalen sei, erkennt seine Frau den Ernst der Lage durchaus. Die beiden jungen Männer sind voller Hass auf sich und ihr Leben und projizieren das auf alle Fremden und die Obrigkeit. In der Schlussszene wiederholt sich der Beginn: Walter Lübcke sitzt auf Terrasse. Alleine. Dann geht das Licht aus. URSULA NEUBAUER
2025 WLZ 20. 11.