Mit Faust in der Tasche Magistrat entlastet

Um mehr als ein Jahrzehnt verspätet behandelt Waldecker Parlament Haushalts-Prüfbericht

Die gesetzliche Ordnung verloren: Mit diesem Urteil der Kassenprüfer fürs Waldecker Haushaltsjahr 2012 musst die Stadt leben. © Symbolbild: imago stock&people/pr/Archiv

Waldeck Mit sage und schreibe zwölf Jahren Verzögerung haben die Waldecker Stadtverordneten in ihrer jüngsten Sitzung den Magistrat für das Haushaltsjahr 2012 (!) entlastet – sie mussten das aus ihrer Perspektive tun, obwohl sie am liebsten die Entlastung verweigert hätten. Grund: der erst im Herbst 2024 vorgelegte, drastische Prüfbericht der Revisionsabteilung des Landkreises, der staatlichen Kassenprüfer, zum Waldecker Jahresabschluss 2011. Haufenweise Mängel in der Haushalts- und Buchführung bescheinigt der Bericht dem damaligen Bürgermeister Jörg Feldmann und den damaligen Stadträten.
„Aber zwischen der Prüfung und dem heutigen Magistrat und dem heutigen Bürgermeister besteht kein zeitlicher Zusammenhang mehr“, stellte Jürgen Schanner als Finanzausschussvorsitzender resigniert in seinem Bericht fest. Etliche der Verantwortlichen seien längst verstorben, unterstrich ein Zwischenrufer in der Sitzung.
Darum habe der Ausschuss einstimmig die Entlastung des Magistrats empfohlen und darum folgten die Stadtverordneten dieser Empfehlung. FDP-Fraktionsvorsitzender Martin Merhof kritisierte allerdings den Landkreis, weil dessen Revisionsabteilung mit den Prüfungen der Jahresabschlüsse der Kommunen viel, viel zu lange hinterherhinke: „So ein Prüfbericht ist ein Muster ohne Wert, wenn die Abgabefrist von einem Jahr nicht eingehalten wird.“ Teilweise hingen bis zur vier Bürgermeister deshalb „in der Warteschleife“ mit ihren jeweiligen Stadträten oder Beigeordneten.
Der Frust der Stadtverordneten darüber ist deshalb so groß, weil sie auf diese Weise das wichtigste Recht des Parlamentes nicht richtig wahrnehmen können – die Hoheit über die Finanzen, die Entscheidung darüber, wie viel Geld für welchen Zweck ausgegeben wird. Sie können damit die Arbeit von Bürgermeister und Magistrat nicht so kontrollieren, wie es die Gesetze der Demokratie vorsehen. Das machten die Waldecker Redner einhellig deutlich.
Jürgen Schanner verwies auf die Hintergründe der Misere. In Hessen wurden die Kommunen vom Land verpflichtet, ab 2009 die althergebrachte Buchführung, die „Kameralistik“, auf die „doppelte Buchführung“ umzustellen in Anlehnung an die Buchführungspflichten für Handelsgesellschaften. Die Kommunen mussten „Eröffnungsbilanzen“ erstellen und die Revisionsabteilungen der Kreise diese prüfen. Im Verein mit zunehmendem Personalmangel führte das in der Folgezeit zum Stau bei den Prüfberichten zu den Jahresabschlüssen, betonten Verantwortliche in den vergangenen Jahren wiederholt.
„Wir hatten einen sehr eigenwilligen Bürgermeister“, kommentierte Finanzausschussvorsitzender Schanner die Situation 2012. Er verlas Auszüge aus dem Prüfbericht der Revision: „Es ergaben sich Haushaltsüberschreitungen in Höhe von insgesamt 588.000 Euro, die haushaltsrechtlich nicht legitimiert waren. Forderungen und Verbindlichkeiten wurden jeweils im Umfang von 1,1 Millionen Euro zu hoch ausgewiesen. Forderungen und Verbindlichkeiten in Höhe von 809.000 Euro konnten nicht aufgeklärt werden. Die Abwicklung der Haushaltswirtschaft erfolgte im Haushaltsjahr 2012 nur teilweise entsprechend der rechtlichen Vorschriften des Gemeindewirtschaftsrechtes, den sie ergänzenden Satzungen und sonstigen ortsrechtlichen Bestimmungen.“
Jedoch diagnostiziert der Prüfbericht nicht, dass der Stadt aus diesen Verstößen heraus ein finanzieller Schaden entstanden sei. Der Rechenschaftsbericht stehe „im Wesentlichen im Einklang mit dem Jahresabschluss, vermittelt im Wesentlichen ein tatsächliches Bild von der Lage der Stadt“, den Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung, heißt es zum Ende des Revisionspapiers. Inzwischen hätten Bürgermeister Jürgen Vollbracht, Magistrat und Verwaltung die damals festgestellten Mängel in der Waldecker Haushaltswirtschaft behoben, fügte Schanner hinzu.
MATTHIAS SCHULDT

Ehrenamt braucht Hilfe von fachlicher Seite

Der langjährige Stadtverordnete Jürgen Staude (SPD) verwies auf die ehrenamtliche Tätigkeit der Abgeordneten: „Wir brauchen Unterstützung von fachlichen Stellen beim Landkreis oder Hilfe durch andere Institutionen, doch wenn man damals darum bat, hieß es: keine Zeit.“ Die Stadtverordneten seien allein gelassen worden mit Zweifeln zur Haushaltsführung. Stolz ist Staude darauf, „dass wir das Thema GmbH beendet haben.“ 2009 war sie auf Vorschlag von Feldmann und auf Mehrheitsbeschluss von CDU, FWG und FDP gegründet worden, um Steuervorteile für Millioneninvestitionen ins Abwassersystem zu erzielen. 2016 hatte das Parlament die GmbH mit Mehrheit von SPD, Grünen und CDU wieder aufgelöst, weil sich die Vorteile nicht eingestellt hätten und das Konstrukt zu umständlich und unübersichtlich sei.
SU

2025 WLZ 04. 01.