Leben in Zeiten des Umbruchs
Neuer Band von „Korbach entdecken“ behandelt das Kaiserreich
Über ein zugängliches Geschichtswerk für Jung und Alt freuen sich: (von links) Klaus Friedrich, Britta Hein, Alexander Flake, Denis Knoche, Dr. Marion Lilienthal, Dr. Arnulf Scriba, Waltraud Steuber, Ralf Buchloh und Wolfgang Kluß. © Foto: Figge
Korbach – Aus der florierenden Hansestadt Korbach des Mittelalters wurde nach dem 30-jährigen Krieg ein vor sich hin schlummerndes Ackerbürgerstädtchen – und dann kam das Kaiserreich: „Was für ein Wendepunkt, was für eine Zäsur“, sagt Dr. Marion Lilienthal über die Epoche, die sie zusammen mit Waltraud Steuber im neuen Band der Reihe „Korbach entdecken“ behandelt.
Diese Zeit finde zu wenig Aufmerksamkeit: Elektrifizierung und Mobilität durch die Eisenbahn veränderten das Leben. Gleichzeitig lösten Krankheiten wie Tuberkulose und spanische Grippe viel Leid aus; wegen hoher Kindersterblichkeit wurde schleunigst getauft. Die Gesellschaft blieb sehr hierarchisch: Strafen auf Betteln waren hart, und jedes Buch, das in einer Schulbücherei ausgeliehen wurde, musste der Direktor persönlich absegnen. Bei der Beschreibung all dieser Phänomene geht es um Geschichten von Menschen: Alle Lebensbereiche und wie Technik und Entwicklung sie veränderten, werden angeschnitten. „Dieses Buch ist – so wie die ganze Reihe – fachkundig und unterhaltsam, informativ und spannend“, hält Bürgermeister Klaus Friedrich fest.
Der Zeitgeist habe berühmte Söhne der Stadt hervorgebracht: etwa August Orth, Prof. Hermann Kümmell und Prof. August Bier. Aber auch Eindrücke aus der breiten Bevölkerung zeichnen ein Bild der Zeit: etwa von Drechslermeister Friedrich Wilhelm Eigenbrod, der darauf bestand, dass ihm nach dem Tod die Pulsadern aufgeschnitten werden – die Furcht, scheintot begraben zu werden, war nicht unbegründet. Die junge Lisbeth Schierholz, die der Rock beim Turnen störte, ist ein Blick in die Kindheit; aus dem Ersten Weltkrieg sind Anekdoten wie die Freundschaft zwischen Karl Graf und dem russischen Kriegsgefangenen Adam Rekutz überliefert.
Besonderheiten der Region kommen zum Tragen, so etwa die schnelle Elektrifizierung: „Korbach war früher als viele größere Städte“, erklärt Waltraud Steuber – Gasbeleuchtung wurde übersprungen. Das Fürstentum Waldeck war derweil die Region mit der höchsten Auswanderungsquote im ganzen Kaiserreich. Auch die Geschichte von Louis Peter und der Ansiedlung der Conti wird in Gastbeiträgen von Dr. Wilhelm Völcker-Janssen erzählt.
Mehr als 250 Bilder zeigen die Entwicklung der anfangs landwirtschaftlich geprägten Stadt, berichtet Marion Lilienthal. Anders als bei den Bänden zur Nachkriegszeit und den 1960er Jahren gab es keine Zeitzeugen mehr, doch durch gute Archivarbeit sei ein sehr kurzweiliges Buch entstanden, lobt Museums-Leiter Dr. Arnulf Scriba. „Die Autorinnen haben jede freie Minute im Archiv gesessen“, berichtet Stadtarchivar Wolfgang Kluß – gerade Zeitungen waren eine wichtige Quelle, dazu kommen 70 000 eingescannte Bilder.
Ohne Förderer wäre es nicht möglich, ein günstiges Buch herauszubringen, betont Dr. Marion Lilienthal. Dazu gehören die Stadt Korbach, das Netzwerk für Toleranz des Landkreises, die Bezirksgruppe Korbach des Waldeckischen Geschichtsvereins, die Christof-Linde-Stiftung und der Förderverein der Alten Landesschule. Eine spannende Zeit werde mit persönlichen Einblicken zu gelebter Geschichte, die Alt und Jung anspreche, sind sich Britta Hein vom Geschichtsverein, Schulleiter Alexander Flake, Denis Knoche vom Förderverein und Ralf Buchloh von der Stiftung einig.
Das Buch ist für 34,80 Euro in der Tourist-Info, im Museum, im Stadtarchiv und in der ALS erhältlich. Die Reihe „Korbach entdecken“, Teil des 14-bändigen „Einblicke in Archiv und Museum der Kreis- und Hansestadt Korbach und Archiv der Alten Landesschule“, soll weiter gehen. Groß ist die Nachfrage nach den 1970er Jahren, Weimarer Republik und NS-Zeit.
WILHELM FIGGE